Wenn man ein Auto ohne Außenspiegel sehen will, muss man nicht zur CES nach Las Vegas fahren. Jede Automesse bietet den gleichen Anblick. In aller Regel werden Konzeptfahrzeuge ohne die mehr oder weniger schicken Anbauteile konzipiert und das hat mehrere Gründe.
Gastautor: Ralf Bernert
Bei den meisten Konzepten steht das Design im Vordergrund. Entweder man zeigt die Zukunft und die muss möglichst deutlich erkennbar sein oder man konzentriert sich auf bestimmte Design-Merkmale und dann ist ein Außenspiegel eher hinderlich. Wie auch immer, bei Designstudien spielt die Realität in Form von Zulassungs-Ordnungen oder Produktionskosten keine Rolle. Der kleine Spiegel mit Arm und Gehäuse wird entweder ersatzlos gestrichen oder neuerdings durch Kamera-Systeme ersetzt, der Blick nach links und rechts wird entweder ganz überflüssig oder wir schauen bald in zwei Monitore, die direkt in die Seitenscheibe integriert werden.
Erste Konzepte für digitale Außenspiegel
Mitte 2015 zeigte Audi mit dem „e-tron quattro concept“ einen deutlichen und seriennahen Ausblick auf die nahe Zukunft. Der SUV ist ohne Außenspiegel unterwegs, an beiden vorderen Kotflügeln sind ausfahrbare Kamera-Arme installiert, die Bilder liefern, die weit über die Reichweite eines herkömmlichen Spiegels hinausgehen. Im Fahrzeug werden die Aufnahmen jeweils links und rechts im Bereich der A-Säule auf die Seitenscheiben projiziert. Der Fahrer erhält mit dem Kamerasystem gestochen Scharfe Aufnahmen, den berühmten toten Winkel gibt es nicht mehr. Die Optik der erfasst mehr als die doppelte Fläche, die ein herkömmlicher Spiegel darstellen kann.
Auf der CES 2016 in Las Vegas präsentierte BMW mit dem „i Vision Future“ einen i8, der ebenfalls auf den Außenspiegel verzichtet. Die Münchner haben die Kameras allerdings jeweils an einem festen Arm justiert, der exakt dort angebracht ist, wo man früher den Außenspiegel fand. Die winzigen Kameras liefern, wie beim Audi, gestochen scharfe Aufnahmen. Sie werden nicht in die Seitenscheiben sondern in einen Monitor anstelle des Rückspiegels projiziert. Bei einer kurzen Testfahrt mit dem Hybrid-Sportler konnte die Qualität der Aufnahmen überzeugen, der dauernde Blick in den Monitor ist allerdings sehr ungewohnt, der Kopf bewegt sich, nach alter Gewohnheit, noch immer nach links oder rechts. Ob BMW den „Innenspiegel“ tatsächlich auch in der Serie als optimalen Ort für die Bilder der Seitenkameras wählen wird, ist noch nicht entschieden. Vermutlich hat BMW den Monitor auch aus Kostengründen gewählt, die Darstellung über die beiden Seitenscheiben ist sicherlich weit aufwändiger.
Der britische Sportwagenhersteller McLaren präsentierte zusammen mit dem Audio-Spezialist JVC-Kenwood in Las Vegas ebenfalls einen Wagen ohne Außenspiegel. Wie bei BMW sieht man an der Seite einen schlanken Arm als Kamera-Träger, die Bilder der beiden Kameras werden bei dem Supersportler über ein HeadUp-Display auf die Windschutzscheibe übertragen.
Für McLaren spielt nicht nur das Thema Sicherheit eine wichtige Rolle. Der McLaren 675LT ist ein auf Leistung getrimmter Sportler, für den das Thema Aerodynamik außerordentlich wichtig ist. Herkömmliche Außenspiegel haben einen deutlich spürbaren Einfluss auf die Luftführung rund um den Wagen. Mit den schlanken Kamera-Trägern minimieren sich die Luftwirbel an der Seite des Fahrzeuges.
Neue Wege ohne Außenspiegel
Die drei Beispiele zeigen recht eindeutig, dass das Thema Außenspiegel schon sehr konkret vor einem Umbruch steht. Derzeit sind die Kamera-Systeme in vielen Ländern noch nicht erlaubt. Für die meisten Hersteller sind die Kamera-Systeme noch zu teuer und deshalb eher in der Luxusklasse interessant. Für den Fahrer bieten die Kameras deutlich mehr Sicherheit.
Die technischen Möglichkeiten sind dem herkömmlichen Spiegel weit überlegen, nicht nur der Blickwinkel ist wesentlich größer, auch bei Nacht kann zum Beispiel eine Infrarot-Technik deutlich bessere Aussichten liefern. Bei der Darstellung der Kamera-Bilder wird sich vermutlich am Anfang die Projektion an den Seitenscheiben durchsetzen. Immerhin haben über Jahrzehnte den Blick nach links und rechts gelernt und verinnerlicht. Dass der Außenspiegel bald der Vergangenheit angehören wird, ist nur eine Frage von Jahren. Dabei spielt nicht nur der ästhetische Gedanke eine Rolle – die technische Machbarkeit ist bereits heute belegt.
Startbild: BMW
Über den Autor:
Ralf Bernert ist Chefredakteur von „Exclusive-Life – das Online-Magazin für den besonderen Lifestyle„. Dort schreibt er über Erfahrungen rund um das Automobil, Reisen und Handwerkskunst.
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